Ostseezeitung - 8/9.
Januar 2005 |
Entspannte
Geburt
Hilda-Marianne kam im ersten Geburtshaus von Mecklenburg-Vorpommern
zur Welt.
Die Stillzeit ist zu Ende. Hilda- Marianne macht brav
ihr Bäuerchen und liegt kurz darauf in den Kissen,
satt und offensichtlich zufrieden. Wie die meisten Babys
in solcher Situation.
In Mecklenburg-Vorpommern kommen pro Jahr laut Statistik
knapp 12 200 Kinder zur Welt. Nur etwa jedes hundertste
davon außerhalb einer Klinik. Dazu gehört Hilda-
Marianne. Mutter Diana Weichelt (34), Heilpraktikerin
und in Neu-Wiendorf bei Schwaan zu Hause, wurde von ihrem
ersten Kind in einem Geburtshaus entbunden. Deutschlandweit
gibt es über 100 dieser außerklinischen Einrichtungen
zur Primärversorgung von Schwangeren und Gebärenden.
Im klassizistischen Gutshaus von Friedrichshof bei Bützow
hat Dagmar Saeckel, Hebamme und selbst dreifache Mutter,
2004 das erste Geburtshaus des Landes eröffnet. Hilda-Marianne
war das achte Baby, das hier zur Welt kam. Ich habe
ebenfalls dabei geholfen, sagt der frischgebackene
Vater Ronald Behrendt. Der 35-jährige Ergotherapeut
mit eigenen Praxen in Rostock hatte seine Lebensgefährtin
bei der Geburt aktiv während der Presswehen unterstützt.
Wie bei der Geburt seines ersten Kindes vor über
14 Jahren damals in einem Krankenhaus.
Ein Klinikbetrieb ist unserer Ansicht nach immer
mit Stress für Mutter und Kind verbunden: Schichtwechsel,
Hektik bei Notfällen im Kreißsaal. . . Deshalb
haben wir uns für das Geburtshaus entschieden,
so der junge Vater. Als die Niederkunft absehbar war
früher als erwartet übrigens, habe er
den Nachmittag mit seiner Diana im Gutspark und den frühen
Abend bei Kerzenschein und Musik geruhsam im Haus verbracht.
Die Hebamme habe zwar ständig Untersuchungen und
Messungen sowie die erforderlichen Dokumentationen vorgenommen,
doch die Situation seivöllig entspannt
gewesen, sagt er. Kurz vor Mitternacht kam das Baby. Durch
die Geschicklichkeit von Dagmar Saeckel war kein Dammschnitt
notwendig, ist Mutter Diana dankbar. Mir war
der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses zur Hebamme
während der Schwangerschaft sehr wichtig. Sofort
nach der Geburt hatte diese das Kind auf Dianas Bauch
gelegt, um durch das innige Beieinander die Produktion
von Oxytoxin anzukurbeln. Das Hormon unterstützt
die Lösung der Placenta und die Milchproduktion.
Etwa zwölf Minuten später wurde die Nabelschnur
durchtrennt: Hilda-Marianne war zur Selbstversorgungübergegangen.
Am nächsten Morgen brachten die Eltern ihre Tochter
nach Hause.
Hebamme Dagmar Saeckel:Mein Ziel ist die ganzheitliche
Betreuung der Eltern: Begleitung der Schwangerschaft,
der Geburt und des Wochenbetts, unabhängig vom gewählten
Geburtsort. Das könnten auch die eigenen vier
Wände sein. Oder sie betreut Frauen im Bodden-Klinikum
Ribnitz-Damgarten, falls sie eine Krankenhausgeburt bevorzugen
oder eine Risikogeburt zu erwarten ist.
Plötzlich eintretende Geburtsrisiken sind allerdings
nicht vorhersagbar, belegt eine Studie. Die Bayerische
Arbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung (BAQ) hatte
im Jahr 2000 deutschlandweit 70 Prozent aller Entbindungen
erfasst und festgestellt, dass 15 bis 20 Prozent aller
Risiken erst im Laufe des Geburtsvorganges auftreten.
28 Risikofaktoren fand Priv. Doz. Dr. Matthias David an
der Berliner Charite´ heraus. Als Datenbasis dienten
176 734 Klinikgeburten. Doch leider konnten wir
keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen diesen Risikofaktoren
und dem Geburtsmodus spontane oder Geburt durch
Kaiserschnitt ermitteln, bedauert Dr. David.
Auf die potentielle Gefahr für das Baby, wenn die
Versorgung mit Sauerstoff kurz vor, während oder
nach dem Geburtsvorgang unterbrochen wird oder unzureichend
ist, macht Prof. Dr. Eckard Koepcke von der Frauenklinik
am Südstadt-Klinikum in Rostock aufmerksam. Dann
kann der nächste OP-Saal gar nicht nahe genug sein,
warnt der langjährige Chefarzt, der jüngst in
den Ruhestand ging. Unbestritten seien für ihn die
Sicherheitsvorteile einer leistungsfähigen klinischen
Geburtsmedizin. Werdenden Eltern, die sich mit dem Gedanken
an eine außerklinische Geburt tragen, empfiehlt
Prof. Koepcke, die Hebamme zu fragen, wieviele Frauen
sie bereits entbunden hat. Außerdem sollten sie
Auskünfteüber das Sicherheitsmanagement für
Mutter und Kind bei unvorhersehbaren Komplikationen einholen.
Der Vater von Hilda-Marianne: Das haben wir getan
und waren mit den Antworten der Hebamme zufrieden.
Die Kleine habe sich von der Geburt an gut entwickelt,
sei kerngesund und putzmunter, ergänzt die Mutter.
Autorin: Angela Golz
Medium: Ostseezeitung, 8./9.01.2005
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